COVID-19-Pandemie und die Erstellung des Jahresabschlusses - Ein Leitfaden für Verwaltungsräte
(28. Oktober 2021)
Ausgangslage
Seit Beginn des Jahres 2020 werden die weltweite Gesellschaft und Wirtschaft mit einer für viele neuartigen Bedrohung konfrontiert, nämlich einer Pandemie. Was noch vor einigen Jahren als undenkbar galt, beschäftigt uns alle täglich aufs Neue und durchdringt nahezu alle Lebensbereiche. So bekommen dies auch die Schweizer KMUs zu spüren, da es eine Vielzahl von neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt. Der vorliegende Artikel behandelt ausgewählte Aspekte bezüglich der Erstellung des Jahresabschlusses aus Sicht des Verwaltungsrates.
1. Fortführung
Die Fragestellung der Fortführung eines Unternehmens ist zwar kein Corona-spezifisches Thema, allerdings erhält dies dadurch zusätzliche Brisanz. Denn jeder Verwaltungsrat hat die unübertragbare und unentziehbare Aufgabe, jederzeit die Fortführung eines Unternehmens zu überwachen.
Gerade für Unternehmen, welche von der Pandemie hart getroffen werden, dürfte sich diese Fragestellung verschärfen. Es gelten die Grundsätze gemäss Art. 958a OR und der Verwaltungsrat hat zu jedem Zeitpunkt eine Einschätzung zu treffen, ob die Fortführung gesichert, gefährdet oder verunmöglicht ist.
- Gesicherte Fortführung: unveränderte Bilanzierung zu Fortführungswerten
- Verunmöglichte Fortführung: Umstellung der Bilanzierung auf Veräusserungswerte
- Gefährdete Unternehmensfortführung: Bilanzierung zu Fortführungswerten und Offenlegung der Unsicherheit im Anhang
Währenddem die obigen Fälle a) und b) in der Praxis klar sein dürften, bietet der Fall c) ein potenzielles Minenfeld. Gefordert sind verlässliche Prüfungsnachweise, welche aufzeigen, dass die Annahme einer ‘lediglich‘ gefährdeten Unternehmensfortführung vertretbar ist. Geeignet dazu sind beispielsweise entsprechende Planungsrechnungen (Plan-Erfolgsrechnungen, Plan-Bilanzen, Liquiditätsplanungen usw.). Es gelten die üblichen Grundsätze wie vor der Pandemie. Spezifisch kann in die Betrachtung einbezogen werden, dass COVID-19-Kredite gemäss dem ab 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Solidarbürgschaftsgesetz während der gesamten Laufzeit nicht als Fremdkapital im Sinne von Art. 725 Abs. 2 OR einzusetzen sind und dementsprechend die Hürde für die Handlungspflichten des Verwaltungsrats (insbesondere die ‘Bilanzdeponierungspflicht‘) dadurch erhöht wird.
2. Bewertung
Unabhängig von der Annahme der Unternehmensfortführung stellen sich spezifische Fragen in Bezug auf die Bewertung der Aktiven und gegebenenfalls in Bezug auf die Erfassung von Rückstellungen. Bezüglich der Bewertung der Aktiven ist Art. 960a OR massgebend. Gemäss Absatz 3 dieses Artikels sind ‘nutzungs- und altersbedingte Wertverluste‘ durch Abschreibungen und ‘anderweitige Wertverluste‘ durch Wertberichtigungen zu berücksichtigen.
Der Fokus liegt daher auf der Frage, ob die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie Anlass für ‘anderweitige Wertverluste‘ sind, wofür die Bildung von Wertberichtigungen gefordert ist. Was als ‘anderweitige Wertverluste‘ zu verstehen ist, muss nach kaufmännischen Grundsätzen beurteilt werden.
Häufig hat sich die Situation eingestellt, dass den Auswirkungen der Corona-Pandemie nur mit einer Restrukturierung begegnet werden konnte, zum Beispiel indem Überkapazitäten abgebaut wurden. Sofern solche Massnahmen zusätzliche Kosten verursachen (Beispiel: Lohnzahlungen für gekündigte und freigestellte Mitarbeiter), so sind diese Kosten zwingend zu berechnen und periodengerecht als Rückstellungen (Art. 960e Abs. 2 OR) zu erfassen. Bisher als sicher eingestufte Debitorenbestände können durch die Pandemie gefährdet werden. Daher sind diese Guthaben vor allem von besonders gefährdeten Branchen genauer zu analysieren und das Debitorenmanagement ist zu verschärfen. Gegebenenfalls müssen Wertkorrekturen vorgenommen werden.
3. Anhang
Seit der letzten Rechnungslegungsrevision (welche seit 2015 zwingend anzuwenden ist) kann der Anhang zurecht als gleichwertiger dritter Bestandteil eines Jahresabschlusses (neben Bilanz und Erfolgsrechnung) bezeichnet werden. Dabei gilt die Idee, dass wesentliche Ereignisse oder Tatsachen nicht mittels blossen Zahlen, sondern besser mit Worten dargestellt werden können.
Im Rahmen dessen stellt sich alsdann die Frage, in wie fern die aktuell herrschende Pandemie im Anhang Erwähnung finden soll. Rein gesetzlich gibt es dazu keine starre Vorschrift, allerdings kann die Pandemie im Rahmen des Anhangs unter den folgenden Mindestvorschriften aufgeführt werden:
- Angaben zu Bewertungen
- Nach dem Bilanzstichtag eingetretene wichtige Ereignisse
- Ausserordentliche Aufwendungen/Erträge
- Bemerkungen zur Fortführung
- Vornahme einer Risikobeurteilung
Wie zu erkennen ist, besitzt der Verwaltungsrat einen gewissen Spielraum und daher gilt es abzuwägen, was im Anhang erwähnt werden soll. Im Zweifelsfalle sollte man sich eher dafür entscheiden. Dazu zwei Beispiele:
COVID-19-Kredit
Aufgrund der Besonderheiten der verbürgten COVID-19-Kredite sind letztlich Erläuterungen im Anhang zur fraglichen Bilanzposition unerlässlich, um dem Anspruch gerecht zu werden, im Jahresabschluss die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darzustellen, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können (Art. 958 Abs. 1 OR). Gegenstand der Offenlegung im Anhang ist mindestens der Inhalt der COVID-19-Kreditvereinbarung (Betrag, Amortisationsregelung und Verzinsung).
Auftrags-Unsicherheit
Dazu ein konkretes Textbespiel: ‚Aufgrund der seit dem Frühjahr 2020 bestehenden Corona-Pandemie sind zahlreiche Buchungen abgesagt worden und der Bestellungseingang ist nach wie vor gering. Die anhaltend anspruchsvolle Lage bedingt eine Restrukturierung des Geschäftsbetriebs der X-Event AG. Dieser Tatsache ist mit der Bildung von ausserordentlichen Wertberichtigungen sowie Rückstellungen Rechnung getragen worden.‘
4. COVID-19-Kredit
Zur Sicherstellung der Liquidität konnten Unternehmen, die durch die COVID-19-Krise betroffen sind, zwischen dem 26. März und 31. Juli 2020 vom Bund verbürgte Überbrückungskredite in Anspruch nehmen.
Aufgrund der speziellen Zinsregelungen stellen sich in der Praxis teilweise Fragen, ob die COVID-19-Kredite als ‘verzinsliche‘ oder als ‘übrige‘ Verbindlichkeit auszuweisen sind (vgl. dazu die Gliederungsvorschriften gemäss Art. 959a Abs. 2 Ziff. 1 und 2 OR). Nach Massgabe der bundesrätlichen (Not-)Verordnung sind die Kredite als verzinslich zu qualifizieren. Dies deshalb, weil gemäss der Verordnung der Zinssatz von 0 % bis 31. März 2021 sichergestellt ist, bzw. danach die Anpassung an die Marktverhältnisse vorbehalten wurde. Allerdings: Mit der Überführung der Solidarbürgschaftsverordnung ins ordentliche Recht (Solidarbürgschaftsgesetz, in Kraft ab 1. Januar 2021) ist jedoch vorgesehen, dass die Kredite bis 31. März 2028 zinslos bleiben sollen. Somit sind Kredite, welche innerhalb der regulären Frist zurückbezahlt werden, zinslos. Infolgedessen muss der Ausweis in der Bilanz der Kategorie der ‘übrigen‘ Verbindlichkeiten zugeordnet werden. Die Zuordnung zum kurz- oder langfristigen Fremdkapital richtet sich nach der konkreten Vereinbarung mit der kreditgewährenden Bank. Die Quote, welche innert zwölf Monaten ab Bilanzstichtag zu amortisieren sein wird, ist als kurzfristige verzinsliche Verbindlichkeit (Art. 959a Abs. 2 Ziff. 1 lit. b OR) auszuweisen. Alle weiteren Amortisationsquoten sodann als langfristige verzinsliche Verbindlichkeit (Art. 959a Abs. 2 Ziff. 2 lit. a OR).
5. Kurzarbeits- und Erwerbsersatzentschädigung
Die Begünstigten von Kurzarbeitsentschädigungen sind die Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat diese staatliche Unterstützung an die Arbeitnehmer weiterzuleiten.
Unternehmen, welche Kurzarbeitsentschädigungen erhalten haben, sollten diese aus diesem Grund als Minderung des Personalaufwands (Nettoausweis) erfassen. Für die Sicherstellung einer adäquaten Transparenz für den Bilanzleser drängt sich allenfalls eine zusätzliche Offenlegung und Aufschlüsselung der erfassten Kurzarbeitsentschädigung im Anhang zur Jahresrechnung auf. Für mehrwertsteuerpflichtige Unternehmen ist zudem auf die korrekte Abbildung der erhaltenen Kurzarbeitsentschädigung zu achten. Die Deklaration dieses sogenannten Nicht-Entgelts erfolgt in der MWST-Abrechnung unter Ziffer 910 und führt nicht zu Vorsteuerkürzungen (gleiches gilt für Erwerbsersatzentschädigungen). Forderungen gegenüber Sozialversicherungssystemen im Zusammenhang mit Kurzarbeits- oder Erwerbsersatzentschädigungen sind per Bilanzstichtag anzusetzen, sofern sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.